Alfred Biber

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biberDas rationalistisch organisierte Kunstwerk
10 theoretische Bemerkungen zur Übermalung eigener Arbeiten 

Übermalung eigener Arbeiten als offenes Kunstwerk:
Die Übermalung eigener Arbeiten ist so organisiert, dass keine Ausführung des Werkes mit einer letzten Definition von ihm zusammenfällt. Diese Offenheit , Mehrdeutigkeit, bedeutet nicht eine Unvollkommenheit des Bewusstseins, sondern ist eine Definition der Existenz.

Übermalung eigener Arbeiten als Kritik:
Das Bloßlegen ambivalenter Wirklichkeiten erfolgt an der eigenen Arbeit, da das Gelingen kritischer Bildstrukturen davon abhängt, ob die Codierungen und Decodierungen aus ein und derselben Personalität kommen. Dieses Festhalten an der operativen Identität mit sich selbst (A ist gleich A) ist rationalistisch in der Methode und sichert die Widerspruchsfreiheit der Mittel: Malschritte können entweder nur falsch oder richtig sein, die Schritte sind unumkehrbar, usw.

Übermalung eigener Arbeiten als Ausgrenzung metaphysicher Spekulation:
Der Übermalung eigener Arbeiten obliegt es, autonome Formen hervorzubringen, die zu den schon existierenden hinzukommen und eigene Gesetze offenbaren, die nicht zur Erfassung eines letzten unerreichbaren Sinnes dienen, sondern Aufforderung sind, etwas zu identifiziern, um es von Anderem zu unterscheiden.

Übermalung eigener Arbeiten als dualistisches Problem:
Die Übermalungen eigener Arbeiten folgen keiner Kontinuität als gegenständlich-praktische Realität. Sie sind grundsätzlich gegenstandslos. Da es ohne Gegenstand keine Gegenstandslosigkeit geben kann, ist der Malprozess immerwährend dualistisch.

Übermalung eigener Arbeiten als Affekthandlung:
Die Übermalung eigener Arbeiten entsteht, indem ein aus seinem Zusammenhang gerissenes Stilmittel in einen anderen Kontext eingeführt wird, dessen Struktur dieselben Merkmale der Homogenität und Notwendigkeit wie die ursprüngliche Struktur erhalten, indem auf der Ebene der unbestimmten Suggestion und der emotiven Anregung bis zum maximalen Grad der Offenheit weitergemalt wird.

Übermalung eigener Arbeiten als dialektischer Prozess:
Jenseits der emotiven Seite besteht der Wille, problematische Expositionen bestimmter Spannungszustände nicht zu suggerieren, sondern zu verfremden, sodass deren Synthetisierbarkeit gewahrt bleibt.

Übermalung eigener Arbeiten als Ausdruck des Willens zur Vernunft:
Die Entstehung von Unordnung, Ungeformtheit, Dissoziation ist Ausdruck des Willens, die Dinge in diskursive Kategorien überzufühern. Wenn die Bilder dunkel scheinen, so deshalb, weil die Dinge selbst und unser Verhältnis zu ihnen zunächst im Dunkeln liegen.

Übermalung eigener Arbeiten als Ausdruck des Krisenbewusstseins:
Die Krisenhaftigkeit aller abgeschlossenen, letzten Definitionen führt zur Ablehnung äquivalenter, (strukturanaloger) Formen, die jedoch nicht zu deren Annullierung führt, sondern zu deren Weiterentwicklung, wobei vorhandene Auflösungstendenzen intuitiv aufgegriffen, ihrer inneren Tendenz nach anerkannt und entweder alteriert oder zum Verschwinden gebracht werden. Es ist dies die folgerichtige Reaktion auf eine formale Krise.

Übermalung eigener Arbeiten als neue malerische Grammatik,
die weniger aus Ordnungsmodellen als aus einem permaneneten Programm der Unordnung besteht und es daher ermöglicht, sich mit der Welt aufs Neue einzulassen, den Aspekt der Krise zu integrieren und als Bestandteil von ihr anzuerkennen.

Die Grammatik der Übermalung eigener Arbeiten ist daher keine Erfindung, sondern die einzige Wahl, die geblieben war.

Übermalung eigener Arbeiten als autonome Operation:
Die Akzentuierung der Bildbotschaft durch sich selbst bedeutet ihre Mehrdeutigkeit und ist ihr fundamentaler Antrieb, der den Rezipienten zwingt, in ihr nicht lediglich einen Träger von Inhalten zu sehen, sodass diese vergessen werden könnten, sobald sie verstanden worden sind.

Die Übermalung eigener Arbeiten wird zur Suspendierung von Inhaltsstrukturen zu Gunsten von Ausdrucksstrukturen, die zu ständiger Decodierung auffordern. Die Form ist autonom, da sie Ausdruck ihrer selbst ist.

Zusammenfassung:
Die Mehrdeutigkeit der Übermalung eigener Arbeiten ist die formale Entsprechung zur konkreten Mehrdeutigkeit der sozialen Existenz als ein Aufeinanderprallen von Gegensätzen.

Es kann die Malfläche unbekümmert für die Welt gesetzt werden: das offene, ambivalente, polyvalente Kunstwerk ist eine Möglichkeit, um noch ungreifbare Ideen irgendwie erkennbar und definierbar zu machen.

Durch die Übermalung eigener Arbeiten wird ein Modus gewonnen, die Dinge auf der Malfläche in einen Aggregatzustand zu versetzen. Anstatt die Dinge so zu lassen, wie sie sind, werden sie in den Bereich einer Gestaltungsoperation aufgenommen, die zum Urteil über sie wird, zu einer Zurückführung in eine menschliche Welt, zu einem Gespräch über sie und den Menschen, der sie sieht und nicht mehr vermag, die einstige Beziehung zu ihnen herzustellen, aber möglicherweise den Weg zur Herstellung einer neuen erahnt.

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biographie

Alfred Biber
A-2102 Bisamberg
Hauptstraße 104
Atelier: Setzgasse 28
+43 (0)2262.63 /713 /513 /556 f: /656
0664 540 83 42
bisamberg@yline.come
www.alfred-biber.at

Geb. 22.08.1942 in Brigittenau/Wien

Seit 1957 Auseinandersetzung mit Malerei und Grafik; 1958 Studium an der "Höheren grafischen Lehr- und Versuchsanstalt" in Wien.; 1965-1970 Arbeiten als Grafiker und Designer, Plakatpreise und Auszeichnungen; 1970-1975 Creativdirektor und Werbeleiter internat. Firmen.

Sommer 1975 krisenhafter Bruch mit dieser Tätigkeit, arbeitet als Bühnenmaler im "Theater in der Josefstadt", Wien

Mitglied des Kunstvereines Süd-Ost